Schon in der Antike gab es Knutschgeschichten ...

(Aus: Im Reiche des Eros : sämtliche Liebes- und Abenteuerromane der Antike / [mit einer Einl. und Anmerkungen hrsg. von Bernhard Kytzler]. - München : Winkler, 1983. - 2 Bd.)

 

Definition des antiken Romans

Der antike Roman ist rein fiktiv und wird im Gegensatz zum Epos als reine Unterhaltungsliteratur abqualifiziert. Das zentrale Thema dieser Romane ist EROS. Der Mensch kann sich nicht gegen die Urgewalt der Liebe wehren und wird von ihr überwältigt. Dabei wird die Liebe entweder als eheliche Tugend verherrlicht - die Liebenden müssen Unmenschliches erleiden, werden aber dann über alles erhoben Ù "geordneter Genuß gegenseitigen Glücks"

oder es werden Lustorgien beschrieben Ù "ungeregelte Frivolität phallischer Freuden".

Der antike Roman ist bunt zusammengewürfelt aus verschiedenen literarischen Gattungen:

"Er verdankt dem Epos die großräumige Gliederung, der Komödie die abgerundete Ausgestaltung so mancher Einzelszene, dem Mimus (=prägnante Kurzszene) den scharf zupackenden Griff in der Zeichnung von Typen und Situationen und der Novelle die flüssige Darstellung kurzer, in sich geschlossener Abläufe."

Außerdem werden Bildbeschreibungen (sog. "ekphrasis"), Gebete mit Elementen aus dem Hymnenstil, Auseinandersetzungen, Briefe, Reden usw. in die Haupthandlung eingebunden. Ù Der antike Roman ist also eine höchst kunstvolle und komplexe Komposition.

Die Erzählperspektive ist die eines voll informierten Erzählers. Selbst bei einer Ich-Erzählung wird aus der Sicht nachträglicher Erfahrung berichtet.

 

 

Nun denn, genug der einleitenden Worte, beginnen wir mit dem goldenen Satz des Apuleius: "Intende, lector: laetabere ! (Merk auf, Leser, du wirst dich amüsieren !)

 

 

 

Daphnis und Chloë (Longos, Leben unbekannt)

Der Jüngling Daphnis, von einer Ziege gesäugt, und das Mädchen Chloë, von einem Schaf genährt, werden von Hirten gefunden und aufgezogen. Im romantischen Hirtenleben verlieben sie sich, überstehen Raub und Hinterlist und heiraten als reiche Leute, nachdem sie ihre wahren Eltern gefunden haben.

Die beiden Hirtenkinder inspirierten viele Künstler z.B: Händel, Gluck, Jean-Jacques Rousseau, Jacques Offenbach, Tschaikowsky, Ravel, Shakespeares "Wintermärchen", in Deutschland: Gottsched, Geßner, Goethe, W. Raabe

Die Waffen des Eros (Xenophon von Ephesos, Leben unbekannt)

Der Epheser Habrokomas wurde durch seine Schönheit so eitel und stolz, daß er selbst den Gott Eros verachtete. Aus Rache läßt dieser Habrokomas in Liebe zu Anthia entflammen. Beide vermählen sich, werden aber auf einer Reise von Piraten verschleppt, verleumdet und gefoltert. Ihre Schönheit ist ihr Fluch, da sie überall Begierde erweckt. Doch am Ende finden sie sich wieer und einer ist dem anderen treu geblieben.

 

 

Die Geschichte von Apollonius, dem König von Tyrus (kein Autor überliefert)

Apollonius wird vom König Antiochus verfolgt, weil er Apollonius seine Tochter nicht zur Gemahlin geben will, sondern selbst Inzest mit ihr betreibt. Apollonius rettet die Stadt Tharsus vor dem Hungertod, die dafür seine Flucht geheimhält. Knapp dem Tode entronnen und aller Güter beraubt, strandet Apollonius später in Pentapolis. Dort nimmt er die schöne Prinzessin zu Frau. Beide leben glücklich bis ein Bote aus Tyrus Apollonius zu einer Seereise veranlaßt. Auf hoher See verfällt seine Gemahlin nach der Geburt in einen Scheintod. Er bettet sie in einen Sarg und vertraut sie dem Meer an. Seine Tochter Tharsia vertraut er Freunden in Tharsus an, bevor er selbst als einfacher Kaufmann nach Ägypten zieht und seine Frau betrauert. Als er nach 14 Jahren zurückkehrt, ist seine Tochter angeblich verstorben. Doch Apollonius findet die von Piraten geraubte Tharsia und auch seine Gemahlin wieder, und alle leben glücklich und in Frieden.

 

 

Die Abenteuer der schönen Chariklea

(Heliodor, vermutl. Mitte bis 2. Hälfte des 3.Jh.n.Chr.)

Chariklea, die Tochter des äthiopischen Königs, wurde von ihrer Mutter wegen ihrer weißen Hautfarbe ausgesetzt (Chariklea gleicht einer Statue der Andromeda aufs Haar, auf die der Blick ihrer Mutter während des Liebesaktes fiel). Durch mehrere Umwege gelangt sie nach Griechenland und wird dort von Charikles zur Priesterin erzogen. Bei einem Festzug verliebt sie sich unsterblich in Theagenes , einen jungen Thessalier. Um beisammen zu sein, fliehen Theagenes und Chariklea mit dem ägyptischen Priester Kalasiris. Ihr Schiff wird von Piraten gekapert, sie gelangen in wechselnde Gefangenschaft, müssen vieles erdulden und sollen schließlich äthiopischen Göttern geopfert werden. Doch die Erkennungszeichen (ein Schriftband und Schmuck) lassen Persinna ihre Tochter Chariklea erkennen. Ende gut, alles gut und natürlich bekommt sie ihren Theagenes als Gemahl.

Und so erfüllt sich der Orakelspruch:

Achtet auf sie, die erstens die Anmut und dann auch den Ruhm hat, (Chariklea)

Delphier, und dann auf ihn, der einer Göttin entstammt. (Theagenes)

Meinen Tempel verlassen sie, teilen die Wogen des Meeres,

Erreichen das dunkle Land, das die Sonne durchglüht (Äthiopien)

Dort dann finden sie reichlichen Lohn für ihr rechtliches Leben (Heirat)

Ein weißleuchtendes Band um die schwärzliche Stirn (Priesterband)

Ù längster und am kunstvollsten konstruierter Roman nach dem Vorbild der Odyssee

Die Handlung beginnt bei dem Überfall der Piraten, die Vorgeschichte wird erst nach und nach enthüllt. Viele Einzelerzählungen von Personen, die Chariklea und Theagenes begegnen, sind eingeschoben.

Ù Liebesromane des 16. und 17. Jh. orientieren sich an diesem Roman z.B. Goethes "Wahlverwandtschaften" und Verdis "Aida"

Ù Heliodor selbst schreibt: "Erzählt einer von der Liebe zwischen Theagenes und Chariklea müßte man schon ein Herz hart wie Diamant oder wie Stahl haben, um nicht entzückt zuzuhören."

 

 

Kallirhoë (Chariton, vermutl. 1. Jh.n.Chr.)

Kallirhoë, die Tochter des Steategen Hermokrates, und Chaireas, Sohn des Ariston, heiraten. Nebenbuhler verleiten Chaireas zur Eifersucht, so daß er seiner Frau einen Fußtritt versetzt. Kallirhoë verfällt in einen Scheintod und wird begraben. Grabräuber bemerken den Irrtum und verkaufen sie als Sklavin nach Ionien. Als Kallirhoë ihre Schwangerschaft bemerkt, heiratet sie ihren Herrn Dionysios. Da gelangt Chaireas auf der Suche nach ihr nach Ionien. Großkönig Mithridates soll entscheiden, welche Ehe gültig ist. Doch Mithridates will Kallirhoë für sich und läßt sie außer Landes schaffen. Chaireas besiegt den Großkönig in einer Schlacht und erobert damit auch Kallirhoë zurück. Die Liebenden kehren nach Syrakus heim, versöhnt mit ihren Feinden, den Göttern und sich selbst.

Eine Besonderheit dieses Romans ist die chronologische Erzählweise ohne Einschübe von Geschichten außerhalb der Haupthandlung.

 

 

Satyrikon (Petron, gest. 66 n.Chr.)

Die Hauptfigur ist ein junger Taugenichts namens Enkolpius (=Der am Busen ruht), der mit dem schönen Knaben Giton umherzieht. Zuerst werden sie von Askyltos, später von Eumolp begleitet. Sie unternehmen allerhand Gaunereien, verstricken sich in Liebesabenteuer, es gibt Prügelszenen, Schiffbruch, Erbschleicherei, Spukgeschichten und Rätsel. Alles ist recht derb beschrieben.

 

Ù Nur etwa 150 Textseiten sind überliefert, das Werk war mit 15-16 Bänden aber bis zu

1000 Seiten lang.

Ù Vom Typ ist Satyrikon ein Reiseroman in der Tradition des Schelmenromans.

Ù Die hohe Epik wird parodiert. Wie Odysseus von Poseidon (Homer) oder Aeneas von Juno (Vergil) verfolgt wird, so geschieht es Enkolp mit Priap (=geiler Gartengott), anders als in der hohen Epik unterliegt Enkolp aber.

Ù Friedrich Nietzsche feierte Petron als "anmutigsten und übermütigsten Spötter, unstreb- lich gesund, unsterblich heiter und wohlgeraten" (Der Anti-Christ, Kap.46)

Ù Besondere Beachtung fand eine eingeschobene Szene - "Das Gastmahl des Trimalchio" Es wurde nachgeahmt im Karneval 1702 am Hannoverschen Hof, in Preußen 1751 unter August Wilhelm und in Frankreich zwischen 1715 und 1723 von Abbé Margon.

 

 

Leukippe und Kleitophon (Achilleus Tatios - vermutl. 2.Jh.n.Chr.)

Kleitophon soll auf Wunsch seines Vaters seine Halbschwester Kalligone heiraten, verliebt sich jedoch in seine Base Leukippe. Die Liebenden fliehen, erleiden Schiffbruch, fallen in die Hände von Piraten und Räubern. Dreimal scheint Leukippe durch den Tod entrissen (Opferung durch die Räuber, Schiffbruch, Mord aus Eifersucht). Kleitophon wird fälschlicherweise zum tode verurteilt, da erscheint Sostratos, Leukippes Vater, und vereint das Paar. Kleitophon heiratet Leukippe, und Kalligone bekommt Kallisthenes zum Mann, der sie zwar geraubt, aber später verehrt und wegen ihr seinen Lebenswandel verändert hat.

Dieser Roman fand großes Gefallen in der Antike und im byzantinischen Mittelalter. Es finden sich "Prunkstücke der Rhetorik": Bildbeschreibungen, Briefe, Reden, Mythen, Fabeln usw. Vermutlich wurde auch Heliodor mit seinem Roman von der schönen Chariklea von diesem Werk beeinflußt. Im Erotischen hält es sich nach "Daphnis und Chloë" am wenigsten zurück (Ù siehe Ausdruck: "Diskussion über homo- oder heterosexuelle Liebe").

 

 

Der goldene Esel (Lucius Apuleius - Lebenszeit 125 - 180 n.Chr.)

Ein junger Mann namens Lucius gelangt in die Stadt Hypata in thessalien, um die Geheimnisse der Magie zu erlernen. Im Haus des Milo findet er eine Gespielin - Photis - und Pmphile, die Hexe. Von Photis erbettelt Lucius eine Paste, die ihn in einen Vogel verwandeln soll. Doch Photis verwechselt das Zaubermittel, und Lucius wird zum Esel. Bevor Photis den Zauber mit Rosen rüchgängig machen kann, wird Lucius von Räubern als Packtier geraubt. Lucius wird von einem Besitzer zum nächsten weitergereicht. immer wieder werden Geschichten eingeflochten, die irgendwo erzählt werden. Lucius wird endlich erlöst, als er aus der Hand eines Isis-Priesters einen Rosenkranz frißt. Alle Leute staunen über das Wunder. Lucius wird selbst zum Isis-Priester.

Der Roman wurde von Apuleius selbst "Metamorphoseis"(=Verwandlungen) genannt.

Novelistische Einlagen:

Lukios der Esel (Lukian - ca. 120 - 180 n.Chr.)

Lukios bekommt von seiner Gelibten ein Zaubermittel, das ihn in einen Esel verwandelt. Nach wechselnden Besitzern gelingt es ihm, Rosen zu fressen. Als Lukios einer Dame, die ihn als Esel geliebt hatte, als Mensch seine Aufwartung macht, wird er davongejagt.

Diesselbe Geschichte wie bei Lucius Apuleius liegt zugrunde, nur der Schluß weicht ab.

 

 

Wahre Geschichte (Lukian - ca. 120 - 180 n.Chr.)

Lukian versucht "vorgebliche Wahrheiten in aufschneiderischen Romanen als Lügengespinste zu entlarven". So karrikiert er beispielsweise Homers Odysseus, die Indienfahrt des Ktesias u.a.

Viele Geschichten existieren nur noch in Lukians spöttischer Spiegelung, da die Originale nicht überliefert wurden.

 

Ansonsten fanden sich nur noch Auszüge aus Liebesromanen:

 

 

Außerdem waren Auszüge aus utopischen Romanen aufgeführt:

Sein Reiseroman erzählt von einem utopischen Staatswesen auf einer Inselgruppe im Weltmeer.

Fiktive Geschichtsdarstellung der Zeit 360 - 336 v.Chr. eines weitentfernten, erfundenen Kontinents.

Idealisierte Darstellung der Vergangenheit des Alten Ägyptens

Beschreibung der bewohnten Welt - Asien, Europa, dann Afrika. Das fernöstliche Wunderland wird dem Paradies gleichgesetzt.